Karl Ernst Osthaus

Vorwort 1912

Das Gebäude des Folkwang-Museums wurde im Jahre 1898 nach Entwürfen von Karl Gérard begonnen. Ursprünglich sollte es eine naturwissenschaftliche Sammlung aufnehmen. Erst im Jahre 1900, inmitten der Bauzeit, wurde seine Bestimmung geändert. Zugleich nahm Henry van de Velde die Innenausstattung in die Hand. Er hat in ihr, soweit es noch anging, das erste Monumentalwerk des neuen Stils in Deutschland geschaffen. Sein Bestreben, mit modernen Mitteln fachlich zu wirken, fand in den bestehenden Konstruktionen ihre Begrenzung; in der Harmonie des formalen und farbigen Aufbaues bildet seine Arbeit ein Ereignis von außerordentlicher Tragweite. Sie hat zum ersten Male an einem für die Dauer bestimmten Werke gezeigt, daß architektonische Schönheit nicht in sorgfältiger Anpassung an gegebene Baustile, sonder in rhythmischer Beseelung und lebendiger Verbindung wie immer gearteter Zweckformen besteht.

Die Sammlung moderner Gemälde im Folkwang ist aus dem Bestreben entstanden, künstlerisches Leben zu erzeugen. Nur wenige Werke des frühen 19. Jahrhunderts ermöglichen eine Anknüpfung an die in deutschen Museen gemeinhin gepflegte ältere Kunst. Die wichtigsten Werke der Sammlung, nicht zum wenigsten das Hauptwerk des frühen Renoir, sind zu einer Zeit erworben worden, als ihre Meister in Deutschland noch wenig oder gar nicht bekannt waren. Sie haben dazu beigetragen, das Verständnis für die großen Anreger moderner Malkunst, van Gogh, Gauguin und Cézanne in Deutschland zu erschließen. Auch Hodler und die Pointillisten fanden in keinem deutschen Museum früher ihren Platz. Mit Werken der neuesten starken Talente, Matisse, Le Fauconnier, Thorn-Prikker, Rohlfs und Nolde steht der Folkwang noch heute nahezu allein.

Für die Sammlung moderner Skulpturen ist es ein Vorzug, daß plastische Werke der antiken, christlichen und orientalischen Kunst in demselben Gebäude vereinigt sind. Auch sie veranschaulichen in wichtigen Werken den Entwicklungsgang der modernen Plastik von Rodin und Meunier bis zu den problematischen Versuchen der neuesten Zeit.
Die historischen Sammlungen wird ein besonderer Katalog behandeln.

Die Wirksamkeit des Museums zeigt sich einstweilen weniger in einer Sammlertätigkeit der ihm nahestehenden Kreise. Bedeutsamer ist die erhebliche Zahl von Werken moderner Baukünstler im Hagener Stadtbilde. Über sie wird ein Verzeichnis am Ende dieses Kataloges eine Übersicht geben. Als erfreulichste Tatsache aber darf verzeichnet werden, daß Künstler von Begabung und Ruf die Stadt des Folkwang-Museums zu ihrem Wohnsitz erkoren haben und von hier aus eine weit verzweigte Tätigkeit entfalten.

Im Deutschen Museum für Kunst in Handel und Gewerbe ist 1910 ein Institut geschaffen worden, das die vom Folkwang ausgegangene Wirksamkeit systematisch aufgreifen und in größerem Maßstabe weiter führen soll.

Architektonische und städtebauliche Probleme fanden in der Gartenvorstadt Hohenhagen ihre Lösung. Die Hagener Silberschmiede bietet kunstgewerblicher Schaffenslust Gelegenheit zur Entfaltung. Allen diesen Gründungen, die mit dem Folkwang mehr oder weniger eng verwachsen sind, liegt die eine Absicht zu Grunde, einen Stützpunkt künstlerischen Lebens im westlichen Industriebezirke zu schaffen.

Die kulturelle Entwicklung hat im Westen mit der wirtschaftlichen nicht gleichen Schritt gehalten. Es wird Menschenalter dauern, ehe die Sünden der letzten Jahrzehnte überwunden sind. Als ersten Schritt zur Ordnung hat das Museum seit Jahren den Gesamtbebauungsplan für den Industriebezirk gefordert, und es ist zu hoffen, daß diese unentbehrliche Grundlage jeder weiteren Kulturarbeit binnen kurzem verwirklicht sein wird. Erst dann wird es möglich sein, die Gaben unserer großen Künstler freigebiger an die Vielen auszuteilen, die heute noch die Kunst als einen Luxus der Reichen betrachten. Sie ist nichts weniger als das: In der Durchdringung des ganzen Lebens mit Rhythmus und Schönheit liegt die Aufgabe, die ihr gestellt ist und der das Museums sich widmet.
K.E.O.

Informationsquelle:
Freyer, Dr. Kurt: Museum Folkwang Band 1 Moderne Kunst Plastik Malerei Graphik. Hagen i.W.: Selbstverlag des Museums, 1912.

Zur Geschichte des Museum Folkwang